Caminho Portuges - Der portugisische Jakobsweg - Tag 1

Jakobsweg Portugal caminho Portugues Santiago Compostela Porto Jakobsmuschel

Die Story - Der Start in Porto

Mein erster Flug alleine. Ein bisschen nervös bin ich ja schon, doch die richtige Musik macht den Flug für mich erträglich. Nachdem ein Freund mir den Urlaub abgesagt hat, entscheide ich mich dafür, den Jakobsweg zu laufen. Für den Normalen reicht die Zeit nur leider nicht, da ich nur 2 Wochen habe, bis die Vorlesungen beginnen - und ich voraussichtlich wieder pleite bin. Also wird es portugiesische Weg - der Caminho Portgues. 250km von Porto bis nach Santiago de Compostela. Ich erwische einen günstigen Hin- und Rückflug für etwa 120€ (mit Gepäck). Unzählige Male packe ich meinen Rucksack neu, werfe neue Dinge dazu und Alte heraus. Den Pilgerausweis inklusive Packliste habe ich zum Glück rechtzeitig bei der Deutschen Jakobusgesellschaft bestellt. Ich ignoriere die Liste und denke mir "ist ja eigentlich wie bei 'nem Festival". Scheiss Gedanke.

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Version 2.3.93 meines Rucksackinhalts.

Der Anfang ist natürlich erstmal das Schwierigste. Obwohl ich mich vorher vorbereitet hatte und eine Liste der Pilgerherbergen bekommen habe, stehe ich jetzt ohne wirklichen Plan da. Aber nach ein bisschen rumfragen und verwirrtem anschauen der Karte, komme ich endlich zu meinem Startpunkt, La Catedral de Oporto. Mein erster Stempel im Pilgerausweis! Los geht's mit dem Sammelwahn. Ab hier beginnt mein Abenteuer offiziell: 20.02.2017 um 10:00. Nur noch 250 Kilometer bis nach Santiago de Compostela. Mein Rucksack ist schwer, aber ich bin hochmotiviert. Trotz meines Jakobsweg-Guides verlaufe ich mich schnell in den verschachtelten Straßen von Porto. Den gelben Pfeil verliert man zu Beginn öfters als man denkt.

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Der erste Pfeil nach Santiago de Compostela
Ist man erstmal in Santiago, sieht man ihn ÜBERALL. Sogar in Würzburg spotte ich diese verdammte Muschel mittlerweile. Ich frage die Locals nach Straßennamen, finde irgendwie wieder auf den richtigen Weg und mache mich auf den Weg Richtung Pilgerherberge. Ich entscheide mich gegen den Küstenweg und will mir lieber etwas vom Landesinneren ansehen. Also Caminho Portugues Central. Die Sprache ist ein größeres Hindernis als ich dachte. In einem kleinen Sportgeschäft will ich eine Gaskartusche für meinen Gaskocher kaufen. An dem Kocher versuche ich zu erklären, was ich eigentlich suche, aber sie können mir nicht weiterhelfen. Dann gibt es heute wohl erstmal mal keine Nudeln mit Pesto. Ein Kaffee für den Weg und weiter gehts. Die ersten Kilometer ziehen sich lang, vor allem als ich durch ein Industriegebiet mit lauter verranzten Fabriken laufe. Wie naiv ich noch am ersten Tag bin. Für eine Kirche gehe ich gute 3km Umweg, in der Hoffnung, mir dort einen Stempel holen zu können. Dann stelle ich fest, dass die Kirche geschlossen ist und der Umweg umsonst war. Was solche Sammelgeschichten angeht bin ich echt schlimm, das war früher bei Pokemonkarten so, jetzt sind es Pilger- oder Hüttenstempel. Erstaunlicherweise sind die Cafes, in denen man manchmal Stempel bekommt, ziemlich formularisch: Ein älterer Herr, der seine besten Jahre hinter sich gelassen hat, klatscht mir wortlos einen Stempel in den Ausweis. Ein Frührentner, der an seinem Kaffee sippt und einen Hut mit Krempe trägt beäugt mich skeptisch, da ich in einer Jogginghose durch die Gegend laufe und drohe, mit meinem riesigen Rucksack alles Geschirr im Laden zu zerstören. Genau diese Cafes finde ich wieder und wieder. Bald verlasse ich die Straßen mit den vielen Cafes und komme in eine ländlichere Gegend, wo ich nur noch ab und zu durch kleine Orte pilgere.
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Eine der vielen schönen Kirchen auf dem Weg

Jetzt wird es schon angenehmer. Andere Pilger begegnen mir nicht. Gut so. Ich will ja auch eigentlich meine Ruhe haben. So ziehe ich durch kleine portugiesische Städte und Dörfer, überquere immer wieder alte Steinbrücken und laufe an Ruinen vorbei.

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Dabei scheint die Sonne und ich habe jetzt schon meinen Soundtrack für den Jakobsweg:


Gegen 17:00 erreiche ich meine erste Pilgerherberge und auch die schönste der ganzen Reise. Ein altes Kloster - Mosteiro de Vairao.

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Mosteiro de Vairao
Ich gehe in das große Gebäude, das geisterhaft und leer wirkt. Im 3ten Stock finde ich die Rezeption. Dort steht, dass man im Erdgeschoss beim Nachbarhaus klingeln soll. Ich erwische den Mann gerade, als er nach Hause kommt und er nimmt mich direkt wieder mit zurück in das Kloster. Ein alter, sehr herzlicher Mann, der mir die Hausregeln irgendwie erklärt, ohne ein Wort Englisch zu sprechen. Mit einer selbst erfundenen Gebärdensprache erklärt er mir, wann ich morgens raus muss, wie lang ich abends raus kann etc. Ich treffe dort 2 deutsche Mädchen aus Leipzig. Die einzigen Menschen, die noch in der sehr großen Herberge sind. Ich bin ihnen dankbar, weil es sonst echt unheimlich in dem großen Kloster ist. Über 60 Schlafplätze auf unbequemen Metall-Betten, aber keine Menschen. Nach Einbruch der Dunkelheit gehe ich noch schnell in den kleinen Tante-Emma-Laden, entlang an einem alten Äquadukt. Auch hier kommuniziere ich mit der alten Dame - eben wie man sich "Tante Emma" vorstellt - ohne ein Wort Englisch oder Portugiesisch zu sprechen. Nudeln, Würstchen und Tomatensauce. Essen mit Flair.

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Rustikales Ambiente in der ersten Pilgerherberge
Ich unterhalte mich ein bisschen mit den Philosophie-Studentinnen über den Einfluss der  Existenzialisten im dämmernden Licht der Küche. Dann ziehe ich mich zurück und schaue mir den Meditationsraum an und versuche ohne eine Ahnung davon zu haben - zu meditieren. Alleine liege ich in dem großen Zimmer auf dem Metallgerüst, das sich Bett schimpft und schlafe irgendwann ein. Knapp 30 Kilometer am ersten Tag. Ich kann zufrieden sein!
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Am kommenden Morgen finde ich etwas, was mein Leben auf mehr oder weniger dramatische Weise verändern soll. Ein Buch. Meine Lektüre für den Caminho hatte ich bereits im Flieger durchgelesen, englische Bücher sind mir zu anstrengend und deutsche Bücher findet man in Portugal nicht leicht. Aber in diesem Bücherregal fand ich ein Buch, ohne Hülle. 162 nackte Seiten Papier, der Rest ist abgerissen. "Friedhof der verlorenen Bücher" prangt es auf der Hauptseite. Klingt zumindest ganz interessant, denke ich mir. Im Laufe des Caminho lese ich das Buch, immer abends ein paar Seiten und verliere mich vollends in diesem Schinken, der mein Lieblingsbuch wird. Ironischerweise geht es um einen Charakter, der im spanischen Bürgerkrieg ein Buch findet, das ihn fasziniert, beinahe Besitz von ihm ergreift. Ein Buch, das seinen Besitzer findet und nicht umgekehrt. Und genauso fühle ich mich. Ihr denkt jetzt wahrscheinlich so etwas wie "Schreibt der wirklich 20 Zeilen nur über ein Buch, das er gefunden hat?". Und ja, das tue ich. Jeden Abend lese ich 20-30 Seiten. Dazu Ambient-Musik über die Kopfhörer mit düsterer Stimmung, die den dunklen Anklang des Buches nur weiter bestärken. Seite 162: "In Wahrheit erobert man das Herz einer Frau, indem...". Schluss, Buch vorbei. Sofort rufe ich meine Mutter an und frage sie, ob sie da Buch kennt, ob sie es hat und ob sie es mir geben kann. "Im Schatten des Windes" von Carlos Ruiz Zafon heißt das Buch und sie besitzt es. Ich verbringe die restlichen Tage, über den weiteren Verlauf des Buches nachzudenken und lese es, als ich wieder in Deutschland bin. Und immer noch frage ich mich, ob der Mensch, der die andere Hälfte des zerissenen Buches besitzt, mir jemals über den Weg laufen wird.

Kommentare

  1. Einen so weiten Weg bin ich noch nicht gegangen. Allerdings wandere ich sehr gerne in den Bergen und habe schon wieder für dieses Jahr einen Besuch im Hotel Passeiertal geplant. Ich bin schon in der Vorbereitung.

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